"Psychische Erkrankungen sind leider immer noch ein Tabuthema."
Geschichten aus der Community
Katrin für Menschen von Helpcity
Ich heiße Katrin und werde einmal versuchen zu beschreiben was ich seit 2018 erlebt habe. Vorher noch ein paar Dinge zu mir die mir wichtig erscheinen um meine Geschichte zu verstehen. Ich bin 36 Jahre alt und Single. Ich lebe seit meiner Geburt, bei der ich als Frühchen ein Nabelschnurtrauma erlitten habe (Ich habe mir mit der Nabelschnur selbst die Sauerstoffversorgung unterbrochen) mit einer körperlichen Behinderung. Ich bin durch die cerebrale Bewegungsstörung auf einen Rollstuhl angewiesen, des weiteren habe ich eine Spastik und meine Feinmotorik ist eingeschränkt. Aufgewachsen und in den Kindergarten bzw. die Schule bin ich die meiste Zeit mit nicht Behinderten gegangen. Ich arbeite auf dem ersten Arbeitsmarkt als Verwaltungsfachangestellte.
Wie würdest du mit eigenen Worten beschreiben, was du derzeit erlebst oder erlebt hast?
So nun genug der Vorrede und zu dem was mir 2018 passiert ist. Die eh schon hohe Arbeitsbelastung im Jugendamt hat 2018 unter anderem durch die vielen Flüchtlinge weiter zugenommen. Ich war dort zu dem Zeitpunkt für die Abrechnung der Jugendzentren und die Anmeldung für Ferienmaßnahmen zusammen mit einer Kollegin zuständig. Die Berge auf unseren Schreibtischen wuchsen immer weiter und wir bekamen ständig Druck von der Chefin es doch zu schaffen, schließlich war ich ja 2011 als zusätzliche Kraft dazugekommen. Ich wollte perfekt sein und strengte mich an immer mehr zu schaffen. Der Berg auf meinem Schreibtisch belastete mich sehr. Ich ging bald darauf schon mit Bauchschmerzen zur Arbeit. Immer öfter viel ich dann auch krankheitsbedingt aus. Irgendwann ging nichts mehr zu dem Zeitpunkt ahnte ich noch nicht, dass ich ein ganzes Jahr ausfallen würde.
Als du selbst realisiert hast, dass etwas nicht stimmt (oder dir wurde eine Erkrankung diagnostiziert) wie hast du dich dabei Gefühlt beziehungsweise wie fühlst du dich?
Bei mir wurde zuerst eine Magenschleimhautentzündung diagnostiziert. Als nach ein paar Wochen ein erneuter Arbeitsversuch am ersten Tag direkt wieder abgebrochen wurde, wurde zuerst eine Anpassungsstörung und etwas später eine Depression diagnostiziert. Ich war einerseits erschrocken und andererseits erleichtert, den von früheren Depressionen wusste ich, dass man diese therapieren kann. Leider habe ich sobald ich langfristig krank war hintenrum erfahren, wie mies über mich geredet wurde.
Wie sah/sieht dein Alltag aus?
Mein Alltag sah so aus, dass ich lange krankgeschrieben war und eine Therapeutin gesucht habe irgendwann bekam ich endlich einen Platz für eine Akutpsychotherapie es handelte sich um eine Verhaltenstherapie. Parallel wurde eine Reha angestrebt und absolviert, aus der ich aber kränker entlassen worden bin als ich vorher war. Diese Reha war nicht für Rollstuhlfahrer geeignet und wollte mich wie glaube ich viele andere erstens mit Tabletten ruhigstellen, was ich abgelehnt habe und zweitens das man nach Ablauf der Zeit dort eine Vereinbarung zur Wiedereingliederung unterschreibt. Auch dies habe ich nicht getan. Bin aber jeden weiteren Tag dazu gedrängt worden. Hätte ich gewusst das ich die Reha ohne Konsequenzen hätte abbrechen können hätte ich nicht vier Wochen leiden müssen.
Zurück aus der Reha musste ich erstmal wieder zu meinen Eltern ziehen, da so verängstigt, wie ich war kein Leben in der eigenen Wohnung möglich war.
Irgendwann konnte ich dann meine Ambulante Therapie fortsetzen. Parallel suchte der Schwerbehindertenvertreter für mich einen neuen Einsatzort bei der Stadtverwaltung. Im April 2019 war es dann soweit ich kehrte stundenweise zurück. Da die Stadt leider wenig barrierefreie Gebäude besitzt wurde ich zur IT-Hotline versetzt und habe mich dort die meiste Zeit gelangweilt, teilweise durfte ich dann dem Ordnungsamt bei dem verbuchen der Ordnungswidrigkeiten helfen um etwas zu tun zu haben. Doch mein Schwerbehindertenvertreter gab nicht auf er stellte mit mir zum einen einen Antrag auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung so das ich statt 39 inzwischen nur noch 25 Stunden arbeite. Außerdem suchte er weiter nach einem Amt das Interesse daran hatte mich zu beschäftigen. Dieses Amt fand sich tatsächlich es ist das Grünflächenamt wo ich seit 01.12.2019 beschäftigt bin. Mein Büro ist extra umgebaut worden, damit ich es ohne fremde Hilfe betreten kann. Ich bin auch dort für die Bearbeitung von Rechnungen zuständig.
Der nächste Knick kam als meine Therapeutin meine Therapie nicht mehr verlängerte und behauptete, wenn ich es in den zwei Jahren immer noch nicht gelernt hätte, wäre ich nicht therapiefähig. Dann kam auch noch Corona und ich wurde als vulnerable Person angesehen und von der Arbeit freigestellt. Aus Angst vor Corona habe ich mich in dieser Zeit völlig zurückgezogen. Dadurch hat sich meine Depression verschlimmert und es kam sogar zu Selbstmordgedanken. Irgendwie habe ich trotzdem die Kraft gehabt weiter nach Hilfe zu suchen. Eine Zeitlang habe ich eine Therapeutin privat gezahlt und tue es zeitweise immer noch. Inzwischen habe ich allerdings wieder einen Therapieplatz diesmal bei einer tiefenpsychologisch arbeitenden Therapeutin, wir haben erst vor ein paar Wochen die Zustimmung zur Umwandlung in eine Langzeittherapie erhalten. Außerdem habe ich seit dem Zeitpunkt ohne Therapeutin von meiner Neurologin psychisch funktionelle Ergotherapie verschrieben bekommen. Während ich bei meiner Psychologin lerne wo meine Verhaltensmuster her kommen. Arbeite ich mit meiner Ergotherapeutin daran meine Gefühle wieder wahrnehmen zu können und mit kleinen praktischen Aufgaben meine Werte zu verändern und mehr Selbstvertrauen zu gewinnen.
Da ich Antidepressiva lange abgelehnt habe, habe ich mir das Leben wahrscheinlich sehr schwer gemacht. Ein Versuch mit Escitalopram scheiterte da konnte ich nur noch schlafen. Irgendwann vor ein paar Monaten habe ich es dann auf eigene Faust mit Laif900 Balance versucht. Hochdosiertes Johanniskraut und habe damit recht schnell mein Morgentief überwunden. Inzwischen trägt meine Neurologin meine Entscheidung mit und ich bekomme Laif von ihr verschrieben.
Aktuell ist der Stand so, dass ich einen ganz tollen Arbeitsplatz habe und meine Arbeitszeit ganz frei einteilen kann, dass ist gerade im Hinblick auf die vielen Therapietermine sehr hilfreich. Trotzdem bin ich mir zusammen mit meiner Neurologin und meinen Therapeuten einig das, wir den langen Weg weiterhin ambulant versuchen wollen, dass es aber grenzwertig ist und bei weiterer Verschlechterung oder Wegfall einer der beiden Therapien ein Klinikaufenthalt unumgänglich ist.
Ich kämpfe also aktuell immer noch mit meiner Depression – Selbstmordgedanken habe ich zur Zeit nicht. Allerdings bin ich oft wütend auf mich und habe den Drang mich selbst zu verletzen. Es bleibt immer noch eine Achterbahnfahrt. In der Theorie weiß ich vieles was ich tun könnte. Es in der Praxis umzusetzen ist verdammt schwer. Trotzdem ist sich Hilfesuchen aus meiner Sicht der einzige Weg wenn man Leben möchte.
Angesichts deiner Situation, wie wirkt deine Umgebung und die Gesellschaft auf dich?
Ich fühle mich von der Gesellschaft und insbesondere von meiner Umgebung nicht verstanden. Einige frühere Freunde habe ich bereits verloren. Von meiner Familie höre ich oft dir geht es doch gut, du hast Arbeit, du hast eine schöne Wohnung, du kannst dich wieder mit Freunden treffen, was willst du eigentlich. Meine Familie wirft mir auch vor, dass ich immer noch zur Therapie gehe. Es kam sogar schon der Vorwurf ich würde über die vielen Therapiestunden meine Arbeit vernachlässigen.
Psychische Erkrankungen sind leider immer noch ein Tabuthema.
Wenn du die Möglichkeit hättest offen und ehrlich reden zu können, was würdest Du sagen wollen?
Ich würde darum bitten, dass psychische Erkrankungen ernstgenommen werden und wenn schon nicht verstanden, dann wenigstens respektiert wird, dass man Hilfe braucht und annimmt.
Die Krankenkassen würde ich auffordern für mehr Kassensitze zu sorgen, aus meiner Sicht gibt es nicht zu wenig Psychologen sondern vor allem zu wenig Kassensitze.
Wie definierst du für dich Leben?
Was für mich Leben bzw. Lebenswert heißt weiß ich selbst nicht so genau. Ich weiß immer nur was ich nicht will.
Gibt es eine Erfahrung, die dein Leben nachhaltig verändert hat? (sowohl positiv, als auch negativ?)
Negativ ist auf jeden Fall das Mobbing, was meiner Verlustängste hat riesig werden lassen wobei das Mobbing im Beruf 2018 nicht das erste mal war.
Ich wollte immer um jeden Preis dazugehören und will es noch, dadurch setze ich mich selbst unter hohen Druck.
Zu wissen, dass andere Betroffene mit ihren Ängsten und Sorgen nicht allein sind, kann sehr hilfreich sein. Deswegen möchten wir dich und deine Geschichte vorstellen. Warst du schon mal in einer schwierigen Situation? Was oder wer hat dir geholfen?
Du magst das vielleicht nicht glauben, aber deine Geschichte könnte für andere Gold wert sein – sie könnte einen Wendepunkt in ihrem Leben darstellen.
Schreib uns dafür doch eine kurze E-Mail an kontakt@helpcity.de. Gerne teilen wir deine Story mit den anderen Usern. Ob als Social Media Beitrag, auf der Pinnwand oder auf unserem Helpcity Blog – das darfst du entscheiden. Die Veröffentlichung kann natürlich komplett anonym erfolgen.
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